Marta Bogdańska im Gespräch mit Lara Hancké, Pasquale Muscarella und Lisa Reitz
LH, PM, LR: In deiner künstlerischen Arbeit deckst du verborgene Geschichten auf, untersuchst Machtstrukturen in Archiven und hinterfragst, wie wir die Beziehung zwischen Mensch und Tier wahrnehmen. In deinem Projekt Shifters beleuchtest du beispielsweise die oft übersehenen Rolle von Tieren in Geheimdiensten, Überwachung und Krieg – und stellst dabei menschzentrierte Narrative und Hierarchien in Frage. Im Rahmen des Programms Artist Meets Archive der Internationalen Photoszene Köln hast du mit der fotografischen Sammlung des Kölnischen Stadtmuseums gearbeitet. Wir sind gespannt darauf, mehr über deinen Zugang zur Archivforschung und deine künstlerischen Entscheidungen im Umgang mit historischen Bildern zu erfahren – insbesondere auch darüber, wie sich dein Interesse an der Sichtweise der Tiere in diesem neuen Projekt widerspiegelt. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
MB: Ihr habt Shifters erwähnt, eines meiner beiden Langzeitprojekte. Solche Projekte sind, glaube ich, irgendwie nie wirklich abgeschlossen. Die Handlungsmacht von nicht-menschlichen Tieren¹ und in der Geschichte nach ihr zu suchen – also zu fragen, inwiefern Tiere nicht nur Objekte, sondern auch Akteur:innen der Geschichte sein können – interessiert mich schon lange. Anknüpfend an Shifters beschäftigt sich mein neues Projekt Vive la résistance! mit Formen, in denen Tiere sich dem Menschen, menschlicher Unterdrückung und Ausbeutung widersetzen. Es basiert sowohl auf archivischer und theoretischer Forschung als auch auf Gesprächen mit Expert:innen aus verschiedenen Disziplinen.
Bislang gibt es nur sehr wenige Veröffentlichungen zum Thema tierischer Widerstand, daher muss ich mir gewissermaßen mein eigenes Archiv schaffen. Während meiner Recherche für das Artist Meets Archive-Projekt habe ich schnell gemerkt, dass stadthistorische Sammlungen oft sehr eklektisch sind – und, dass ich dort genau das Material finden kann, das ich suche. Deshalb habe ich mich bei meiner Bewerbung für Artist Meets Archive bewusst entschieden, mit den Beständen des Kölnischen Stadtmuseums zu arbeiten. Ich hatte zuvor bereits positive Erfahrungen mit solchen Sammlungen gemacht, zum Beispiel bei Recherchen im Stadtarchiv Karlsruhe, wo ich auf eine erstaunliche Menge an Bildmaterial gestoßen bin
Während meines Forschungsaufenthalts in Köln habe ich mir nahezu alle Materialien angesehen, die mit Tieren zu tun haben. Glaubt mir, meine Augen sind inzwischen darauf trainiert: ich erkenne selbst das kleinste Tier irgendwo im Hintergrund eines Bildes. Es ist faszinierend – ich liebe es! Es ist, als würde das Gehirn umprogrammiert und der Fokus richtet sich auf Dinge, die den meisten Menschen gar nicht auffallen.
Eine Geschichte, die den Ausgangspunkt meiner gesamten Recherche in Köln bildet, ist die des Schimpansen Petermann aus dem Kölner Zoo. Petermann wurde 1982 bekannt, nachdem er aus dem Zoo ausgebrochen war, und entwickelte sich zu einer Art Legende. Diese Geschichte war während meiner Arbeit in Köln ständig präsent und wird daher auch in der Ausstellung eine wichtige Rolle spielen. Aber ich möchte seine Geschichte nicht einfach nur wiederholen, sondern einen neuen Zugang finden und sie aus einer kritischeren Perspektive betrachten.
Und dann gab es noch eine wunderbare Begebenheit kurz vor meiner Ankunft in Köln: Eine Taubenfamilie hatte sich auf dem Balkon von Volker Hille, dem Kurator der fotografischen Sammlung des Kölnischen Stadtmuseums, niedergelassen und dort ein Nest gebaut. Als ich ankam, lagen bereits zwei Eier darin. Wir haben eine kleine Kamera installiert und über mehrere Wochen hinweg Aufnahmen gemacht. Diese sind Teil des Projekts geworden und fügen sich hervorragend ein, denn in der Sammlung des Stadtmuseums finden sich zahlreiche Bilder von Tauben. Wir bauen Kapitel um bestimmte Funde im Archiv herum, die in ihrer Gesamtheit eine zusammenhängende Geschichte erzählen werden. Insgesamt wird es zwischen fünf und sieben Kapiteln in meiner Ausstellung geben, die an zwei verschiedenen Orten gezeigt werden.
LH, PM, LR: Ganz allgemein gefragt: welches Potenzial siehst du in der Zusammenarbeit von Künstler:innen und Archiven?
MB: Ich denke, wir wissen alle, dass Archive keine neutralen Orte sind – das ist in der akademischen Welt längst bekannt. Archive sind Machtzentren und in alle möglichen politischen Hierarchien verstrickt. Selbst bei kleinen Rechercheprojekten bin ich immer wieder auf Schwierigkeiten gestoßen, etwa beim Auffinden von Materialien oder beim Zugang zu ihnen. Gerade deshalb finde ich es sehr wichtig, mit Archiven zu arbeiten – um diese Machtstrukturen sichtbar zu machen, die verschiedenen Ebenen offenzulegen und vielleicht auch eigene Archive zu schaffen. Ich liebe Projekte, die versuchen, soziale Archive oder Bürger:innenarchive aufzubauen – also Initiativen, bei denen Menschen alternative Formen des Archivierens entwickeln.
Durch die Digitalisierung werden Archive außerdem zugänglicher. Auch Alltagsfotografie findet zunehmend Eingang in Archive. Es entstehen immer mehr Initiativen und Plattformen, die mit Archiven arbeiten und alternative, kritische Zugänge oder Werkzeuge anbieten, um über Archive nachzudenken und sie anders zu begreifen. Ich finde das nach wie vor für äußerst wichtig.
LH, PM, LR: Was hast du aus der Arbeit mit der Sammlung des Kölnischen Stadtmuseums gelernt? Was hat dich am meisten überrascht?
MB: Ich hatte gehofft, mehr über Widerstand zu finden – stattdessen sind wir auf „Geisterbilder“ gestoßen: Fotografien von Tieren, die verschwommen oder verwischt erscheinen, weil sie sich bewegen und dadurch fast unsichtbar werden. Diese Bilder werden ein ganz besonderer Teil der Ausstellung. Sie schließen einen Kreis, der mit dem fotografischen Archiv beginnt und dem Widerstand gegen die Materialität der Fotografie endet – einem Widerstand gegen das „Festgehaltenwerden“. Außerdem gibt es einige Bilder von Tieren aus dem Archiv des Stadtmuseums, die auch auf den Kölner Dom Bezug nehmen.
Die Zusammenarbeit mit Volker war großartig – er ist ein wunderbarer Kurator, sehr offen und hilfsbereit. Unser gemeinsamer Arbeitsprozess war wirklich bereichernd. Ich schätze es sehr, mit jemandem zu diskutieren, der bereit ist, Zeit und Energie zu investieren, um gemeinsam ein konzeptuelles Rahmenwerk zu entwickeln – und der zudem ein ähnliches Verständnis für ortsspezifische Installationen mitbringt. Das ist wirklich großartig!
LH, PM, LR: Uns interessiert auch, wie sich deine Fürsorge für Tiere, die wir in anderen Projekten gesehen haben, in deinem Projekt für Artist Meets Archive weitergeführt wird. Wenn wir dir zuhören, haben wir den Eindruck, dass vielleicht die Geschichten der lokalen Tiere zentrales Thema der Ausstellung sein werden?
MB: Ja, ich arbeite an diesem übergeordneten Thema der Tier-Agency und der Präsenz von Tieren in der Geschichte, aber natürlich stoße ich in diesem Kontext auf ganz konkrete Geschichten im Museumsarchiv. Und dann geschehen im Hier und Jetzt zufällig Dinge, wie die Tauben auf dem Balkon. All das trägt zur Ausformung des Projekts bei.
Ich liebe diesen Prozess und das Arbeiten mit den ortsspezifischen Gegebenheiten eines Ausstellungsraumes. Das verleiht dem Projekt etwas Laborhaftes. Bevor ich nach Köln kam, hatte ich ein paar Ideen – zum Beispiel, welche Arbeiten ich hier umsetzen könnte. Das sind letztlich nun die Videos geworden. Aber vieles entsteht erst jetzt, nachdem ich den Ausstellungsraum gesehen und mit Volker über Ideen gesprochen habe. Ich hatte einige verrückte Gedanken dazu, wie man bestimmte Gewaltgesten der Geschichte, die Tieren aufgezwungen wurden, zeigen könnte. Die Arbeiten gehen sozusagen zunächst einmal aus dem Material hervor, das ich gefunden habe, und andererseits aus dem Prozess des Nachdenkens über das Projekt.
LH, PM, LR: Uns interessiert auch, wie sich deine Wahrnehmung von Tieren – in deiner Arbeit und im Leben – verändert hat, seit du dich mit Archiven beschäftigst und mehr über Tier-Agency und den Widerstand von Tieren gelernt hast?
MB: Ich bin mit großem Interesse an das Thema herangegangen, war aber anfangs keine Expertin. In meinem vorherigen Projekt Shifters war die zugespitzte Frage: Was könnte ein Tier zu einem Spion oder Agenten machen? Durch meinen philosophischen Hintergrund kamen all diese Fragen zur Intentionalität und Subjektivität von Tieren auf. Mein Prozess ist multidimensional: Lesen, Lernen, Gespräche mit Menschen führen und Dinge selbst herausfinden. Ich habe, glaube ich, viel gelernt und eine gewisse Verantwortung oder Verpflichtung gegenüber dem einzelnen Tier gespürt.
Wir können nicht mit ihnen sprechen, wir können nur Annäherungen schaffen und versuchen, uns ihre Perspektive vorzustellen – und genau deshalb ist Kunst so wichtig. Diese Perspektive, die wir einnehmen können, wenn wir versuchen, uns dem tierischen Erleben zu nähern, basiert immer auf einer Art Vorstellungskraft.
Mein Zugang zu Tieren ist ethischer geworden, würde ich sagen. Die Frage ist: Wie können wir die Welt gerechter machen, wie lassen sich Interessen verhandeln und welche Form politischer Repräsentation können wir Tieren geben? Sie sind Wesen mit Rechten, die respektiert werden müssen und denen wir Raum, Zeit und Aufmerksamkeit schenken sollten. Ich denke, genau da müssen wir hin und langsam unsere Gesellschaften verändern.
LH, PM, LR: Vielen Dank, dass du dir heute die Zeit genommen hast, mit uns zu sprechen. Es war wirklich spannend, mehr über dein Projekt, deine Arbeit und deine Vision als Künstlerin zu erfahren. Wir wünschen dir viel Erfolg bei der weiteren Umsetzung und freuen uns sehr auf die Ausstellung!
¹„Nicht-menschliche Tiere“ ist eine Bezeichnung aus den Animal Studies, die sich auf nicht-menschliche Lebewesen bezieht und betonen möchte, dass auch der Mensch selbstverständlich ein Tier ist.
Das Gespräch wurde am 25. Februar 2025 online und auf Englisch geführt.
Marta Bogdańskas Ausstellung "Footprints on the Sands of Time" beim Photoszene-Festival 2025
