Lilly Lulay

Meets Folkwang Universität

Im Rahmen der Kooperation mit der Folkwang Universität der Künste Essen entstanden Anfang 2023 Interviews mit Naoya Hatakeyama, Lebohang Kganye, Pablo Lerma und Lilly Lulay in denen sie über ihre künstlerische Praxis und ihre Residency Projekte sprechen. Sie wurden geführt von Studierenden im Masterstudiengang „Photography Studies and Research", der von Prof. Dr. Steffen Siegel geleitet wird.Artist ProgrammeArtist Meets ArchiveTalk & Discussion
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Lilly Lulay in dialogue with the students

of the M.A. program

"Photography Studies and Research"

This Interview was held in German

Students: Konvolute gefundener Fotografien bilden häufig den materiellen Ausgangspunkt Deiner Arbeit und entfalten ihre finale Form in skulptural oder malerisch anmutenden Werken. Wo findest Du sie?

Lilly Lulay: Als ich angefangen habe mit Fotografie zu arbeiten, habe ich vor allen Dingen Fotografien verwendet, die ich auf Flohmärkten gefunden oder von Freunden bekommen habe, weil mich eigentlich immer der private Kontext, die alltägliche Benutzung von Fotografie, interessiert hat. Ich habe in den 2000er Jahren studiert, als der Wechsel vom analogen zum digitalen Bild stattfand. Dann habe ich irgendwann angefangen nicht mehr nur auf Flohmärkten zu suchen, weil dort auch das Material zeitlich begrenzt ist - Bilder, die nach 2000 produziert wurden, findet man eigentlich kaum auf dem Flohmarkt. Entweder, weil die Leute sie noch nicht weggeworfen haben oder weil die Fotos nicht mehr ausgedruckt werden. Dann habe ich angefangen mit Archiven oder Bildern zu arbeiten, die ich im Internet gefunden habe. Zum Beispiel eine Arbeit, in der ich eine Freundin anhand all ihrer Bilder portaitiere, die auf ihrem Facebook Profil zu finden sind. Oder auch eine Arbeit, in der ich vergleiche: Analoges Material von einer Reise nach Amerika mit digitalem Material von einer Reise nach Amerika und wie sich bei letzterer die Menge der Bilder verzehnfacht, weil die digitale Technik auf einmal das unbegrenzte Aufnehmen von Bildern ermöglicht. Meine Arbeit hat sich also ein bisschen verändert, in dem Sinne, dass das private Bild, das früher analog zu Hause oder vielleicht auf dem Flohmarkt aufzufinden war, jetzt das private Bild im Internet ist - in Form von Social Media Profilen, Instagram oder auch verschickt per Smartphone-App, wie Whatsapp. Damit kommt auf einmal eine Änderung in meine Arbeit, weil unsere privaten Bilder nicht mehr nur im privaten Kontext existieren, sondern auf einmal auf öffentlichen Plattformen gezeigt werden und auch die Besitzer dieser Plattformen, vor allen Dingen Facebook oder auch Google, Zugang zu den Informationen dieser Bilder haben. Auf einmal werden Metadaten ganz wichtig. Wichtiger für diese Unternehmen als der tatsächliche Bildinhalt sind eigentlich die Metadaten, die wir damit teilen. Wo haben sie was aufgenommen? Welche anderen Personen waren noch dabei? Wie oft benutzen wir verschiedene Apps?

Students: Theoretische Auseinandersetzungen mit aktuellen Themen wie Social Media, digitale Kommunikation oder künstliche Intelligenz aus soziologischer und medientheoretischer Perspektive gehören zu Deinem Alltag. Wie steht die theoretische Recherche zu deiner künstlerischen Arbeit? Kann man noch von zwei sich gegenseitig bereichernden Polen sprechen oder sind sie eher unzertrennlich miteinander verwoben?

Lilly Lulay: Ich finde, es ist sehr verwoben in meiner Arbeit. Ich sehe das nicht als zwei getrennte Teile. Ich schreibe zwar keine theoretischen Texte, aber ich schreibe über die Themen, die mich in Verbindung zu meiner Arbeit interessieren. Mich interessiert, wie sich die Fotografie durch die Digitalisierung verändert hat, wie auf einmal unsere Bilder auch zu einem Werkzeug der Überwachung und der sozialen Kontrolle werden. All diese Sachen habe ich immer versucht mit anderen zu teilen. Ich habe irgendwann angefangen auf meiner Website eine Recherchekategorie einzurichten, um mit Leuten die Dinge zu teilen, die ich gefunden habe, die ich interessant fand, wie Vorträge, Texte. Ich denke, künstlerische Arbeit ist ja doch irgendwie stumm. Also kann man sie immer in verschiedene Richtungen lesen. Deswegen wollte ich den Leuten, die daran interessiert sind, ein bisschen mehr Material zur Verfügung stellen und diese ganzen Research-Texte und -Videos mit ihnen teilen.

Students: Was ist dein Interesse daran KI innerhalb deiner Werke zu nutzen?

Lilly Lulay: Ich denke, es ist das Interesse den Mythos zu durchbrechen, dass künstliche Intelligenz so intelligent ist. Was man bei der Analyse solcher Bilder feststellen kann ist, dass die Dinge, die die KI erkennt, vor allem Waren sind. Es ist eine KI, die total darauf trainiert wurde Verkaufsobjekte zu erkennen. Das ist eine sehr kommerzielle KI, womit auch deutlicher wird, dass es in meiner Arbeit auch viele Leerstellen gibt, um darauf zu verweisen, dass diese KI eben sehr beschränkt ist in dem, was sie wahrnehmen kann.

Das Reduzieren hat wieder mit dem Archiv zu tun. Das ist das Problem der Archivare - man muss Dinge ganz genau beschreiben, aber möglichst reduziert. Da gibt es eine Parallele zwischen der Arbeit von Archivaren, die Schlagworte herstellen und dieser KI, die ebenfalls versucht, Themen und Inhalte in den Bildern zu finden. Meine Idee ist, dass die Leute sich vielleicht klar machen, dass alle Bilder, die sie teilen, immer auch weiter verwendet werden, dass wir nicht mehr nur unsere privaten Bilder einem Freund schicken, sondern dass das immer bedeutet, dass man diese Bilder auch mit Whatsapp oder Facebook teilt. Man gibt Informationen über sich preis, die wieder verwendet werden, um andere Dinge zu berechnen.

Students: Du hast im Rahmen der Casa Planas Residenz im Jahr 2021 auf Palma de Mallorca erstmals in einem begehbaren Archiv gearbeitet. Was für eine Arbeit hast du vor Ort entwickelt?

Lilly Lulay: Das war ein privates Postkartenarchiv, das Casa Planas auf Palma de Mallorca heißt. Im Vergleich zu einem staatlichen Archiv gibt es dort ganz andere Auswahlkriterien, was hineinkommt und auch ganz andere Standards, wie das archiviert wird. Was mich damals interessiert hatte, stand auch wieder in Verbindung mit Social Media. Die Idee, dass diese Postkarten, die in etwa in den 60er Jahren entstanden sind, dazu beigetragen haben, das Bild der Insel Palma in die Welt zu tragen. Mit diesen Postkarten hat sich die Insel präsentiert. Das war das Medium der damaligen Zeit, mit dem man als Besucher Bilder in die Heimat geschickt hat. Meine These war, dass heutzutage Bilder aus dem Urlaub nicht mehr per Postkarte verschickt werden, sondern wir sie selber mit unseren Handys machen und sie dann per Whatsapp verschicken oder sie auf Instagram posten. Damals hat mich interessiert, wie die Insel auf Instagram dargestellt wird, im Vergleich dazu, wie die Insel auf den Postkarten erscheint.

Auf einer Postkarte wird immer auf der Rückseite der Ort beschrieben und derjenige genannt, der das Foto gemacht hat. Wenn man die Karte verschickt, ist auch der Stempel drauf, das Datum, und an welche Person die Karte adressiert wurde. Auch auf Instagram sind alle diese Metadaten immer Teil von Posts. Man soll angeben, wo das Foto aufgenommen wurde und das Foto mit kurzen Hashtags beschreiben. Da gibt es für mich eine formale Verbindung zwischen Instagram und Postkarte.

Students: Könntest Du kurz diesen Ort und den Dir gewährten Zugang zum
dort archivierten Material im Vergleich zum RBA Archiv in dem du für dein AMA Projekt arbeitest beschreiben?

Lilly Lulay: Der größte Unterschied zwischen dem Casa Planas Archiv und dem RBA ist, dass das Casa Planas Archiv komplett chaotisch ist. Eigentlich weiß keiner so genau, was alles in diesem Archiv lagert. Es gibt dort ganz viele Kisten und alles ist total verstaubt. Man kommt aus dem Archiv nach einem Tag Recherche raus und hat ganz schwarze Finger. Es war für mich aber auf jeden Fall auch inspirierend, weil ich zum Beispiel Originalmaterial verwenden konnte und weil es ein sehr direkter Zugang zu diesem Material war. Wenige Zwischenschritte. Beim RBA ist es so, dass ich was raussuche und dann wird das gescannt und dann krieg ich die digitale Datei und drucke sie aus, wenn ich sie physisch in der Hand halten will.

Students: Als Teilnehmerin des Programms Artist Meets Archive wurde Dir der Nachlass des Kölner Fotografen Karl-Heinz Hatlé zur Verfügung gestellt, welches sich im Rheinischen Bildarchiv befindet. Wie waren Deine ersten Besuche vor Ort und wie ist es Dir gelungen die Fotogra- fien von Hatlé als Rohmaterial zu betrachten und gleichzeitig sein Werk in der Gegenwart fortzusetzen?

Lilly Lulay: Die Fotografien mit denen ich arbeite sind Reisefotografien, die zwischen den 50er Jahren bis in die 2000er Jahre entstanden sind. Die Idee von Hatlé war, mit diesen Bildern fremder Orte und unbekannter Kulturen mehr Toleranz in der deutschen Gesellschaft zu stiften. Jetzt, 50 oder fast 70 Jahre danach, war mein Eindruck, dass diese fremden Kulturen gar nicht mehr so fremd und weit weg sind. Zum einen, weil Deutschland ein Einwanderungsland ist und es ganz viele Men- schen aus anderen Kulturen gibt, die hier leben. Zum anderen, weil wir durch die Globalisierung digital, aber auch durch Objekte, Waren, mit anderen Orten der Welt unglaublich vernetzt sind. Wenn man sich in seinem Alltag umguckt, gibt es eigentlich kaum Dinge, die ausschließlich in Deutschland hergestellt wurden. Mein Smartphone wurde zum Beispiel in Amerika konzipiert, die Rohstoffe kommen aus Lateinamerika und Afrika, diese werden in Asien zusammengebaut und dann zurück nach Deutschland verschifft. Unglaublich viele Hände haben das Handy in unterschiedlichen Ländern der Erde angefasst, bis ich es schließlich in den Händen halte. Mit dieser Idee habe ich die Bilder aus dem Archiv angeschaut und dann vor allen Dingen Fotos herausgesucht, auf denen man Menschen sieht, die gerade dabei sind etwas zu produzieren. Mein Eindruck ist, dass wir heute mit so vielen industriell gefertigten Produkten zu tun haben, dass wir vergessen, was für eine Handarbeit und was für Menschen dahinter stecken. Deshalb versuche ich in dieser Arbeit jene geisterhaften Personen, die dahinter stecken, im Ausstellungsraum präsent zu machen. Durch meine Reisen in andere Länder ist mir aufgefallen, dass wir mittlerweile eine sehr ähnliche Kultur haben. Produkte aus Amerika, Serien oder Popstars sind zum Beispiel überall auf der Welt bekannt. Ob man in den 80er Jahren in Argentinien groß geworden ist oder in Deutschland oder woanders - jeder kennt Coca Cola, jeder kennt die Simpsons, jeder kennt Madonna und Michael Jackson. Dieser amerikanische Kulturimperialismus, taucht auch in den Bildern von Hatlé an verschiedenen Stellen immer wieder auf. In Form der Werbung für Coca-Co- la, Marlboro oder Pepsi, neben Sehenswürdigkeiten oder als Plastiktüte neben Leuten, die auf der Straße stehen.

Das hat für mich wieder eine Verbindung zum digitalen Alltag heute. Die meisten Produkte, die wir nutzen, stammen auch von amerikanischen Großkonzernen: das Iphone, Windows, Computer, Google und Facebook und sind alles amerikanische Produkte, die die amerikanischen Werte in unsere Länder importieren.

Der Titel Ghosts@work war ein Versuch mehrere Themen, die es in der Ausstellung gibt, zu verbinden. Einmal die ganzen Menschen, die, ohne dass wir es wirklich wahrnehmen, Produkte herstellen. Der Begriff „Ghost Work“ kommt aber eigentlich aus dem digitalen Bereich. Das sind Menschen oder Dinge, von denen wir annehmen, eine Maschine würde uns die Informationen darbieten, doch wo sich im Hintergrund eigentlich Menschen befinden, die diese Informationen bereitstellen. Gleichzeitig hat das auch wieder mit Instagram zu tun. Es gibt aktuell die Debatte, ob wir als Prosumenten - also Konsumenten von Inhalt und Produzenten von Inhalten - vielleicht auch entlohnt werden sollten für die Arbeit, die wir machen. Denn wir posten auf Instagram - wir nehmen das zwar nicht als Arbeit wahr, aber was wir tun, generiert Wert für diese Unternehmen, die unsere Daten weiterverkaufen können, sodass das, was wir tun, eigentlich Arbeit ist. Wir investieren unsere Lebenszeit und erschaffen damit Wert für andere. Daher auch der Titel Ghosts@work, da eigentlich überall Menschen bei der Arbeit sind, ohne, dass man es merkt.

Students: Es gab noch ein AMA Junior Projekt mit mehreren Workshops für Jugendliche. Ihr habt in diesem Projekt eine Mischung aus Hatlés Bildern und Bildern von Instagram benutzt, auf welche Weise?

Lilly Lulay: Hatlés Bilder sind alles 3D-Bilder, möglichst realistisch. So haben wir im Rahmen dieser Work- shops Masken mit einem Rot- und Grünfilter erstellt, sodass man damit Bilder dreidimensional anschauen kann, so wie es Hatlé beabsichtigt hat. Die Maske war für mich auch etwas, das mit der Kamera zu tun hat. Es gibt einen schönen Satz von Philip Dubois: „Sobald eine Kamera den Raum betritt, verändert sich die Realität.“ Ähnlich ist es mit der Maske - sie verändert sowohl den Blick derjenigen Person, die sie trägt, als auch der Personen, die die Maske tragende Person anschauen.

Hatlés Versuch war die Realität möglichst detailgetreu und realistisch abzubilden, aber natürlich verändert er dadurch, dass er mit der Kamera auf die Leute guckt, auch wie die Leute reagieren. Manchmal hat man das Gefühl, in seinen Bildern wird eigentlich eine Realität gezeigt, die für die Kamera hergestellt wurde. Es gibt ganz viele Bilder von touristischen Tänzen oder von Basaren, wo alle möglichen Produkte aufgebaut sind. Das sind alles Bilder, die zeigen, dass die Realität dafür gemacht ist, um auf eine bestimmte Art gesehen zu werden. Das ist auch wieder eine Verbin- dung zu Instagram, wo wir auch versuchen uns in einer bestimmten Art und Weise darzustellen oder Dinge inszenieren, weil wir wissen, dass wir sie fotografieren und mit anderen Leuten teilen können.

This Interview was carried by: Ilkin Guliyev, Chennan Jin, Hossein Mousavifaraz, Joanna Nencek, Sora Park

Lilly Lulays Ausstellung Ghots@Work auf dem Photoszene-Festival 2023

Artist Meets Archive Ausstellungen auf dem Photoszene-Festival 2023
  •   © buerofuerkunstdokumentation
    Artist Meets Archive 01

    Yokohama Souvenirs

    Naoya Hatakeyama

    Museum für Ostasiatische Kunst Köln
    12.05. – 05.11.2023

  •   © buerofuerkunstdokumentation
    Artist Meets Archive 02

    The Opening. an institution, a depot, the boxes

    Pablo Lerma

    NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
    12.05. – 18.06.2023

  •   © buerofuerkunstdokumentation
    Artist Meets Archive 03

    Ghosts@Work

    Lilly Lulay

    Rheinisches Bildarchiv zu Gast in der Handwerkskammer zu Köln
    12.05. – 11.06.2023

  • Artist Meets Archive 04

    Shall you Return Everything, but the Burden

    Lebohang Kganye

    Rautenstrauch-Joest-Museum
    12.05. – 05.10.2023

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