Andrés Galeano im Gespräch mit Maxi Gaiser und Emily Hagedorn
MG, EH: Was bedeutet Mission „X-DBA-00408”, wie du auf Instagram über dein geplantes Projekt über ein Steinfragment des Kölner Doms schreibst. Handelt es sich um eine Archivsignatur oder um eine Idee Deinerseits?
AG: Zum einen ist es eine Idee deinerseits, aber ja, die Vermutung ist ganz richtig, es handelt sich auch um eine Archivsignatur.
Bei meiner Arbeit im Rahmen von Artist Meets Archive dreht sich alles um einen Domstein, der im Weltall war. Dieser befand sich im Foyer der Dombauverwaltung, in einer Vitrine, und seine Geschichte hat mich sofort fasziniert. Er war als eine Art Andenken da, ohne Archivnummer. Ich habe Matthias Deml, damals noch stellvertretender Leiter und seit Januar diesen Jahres Leiter des Archivs, gefragt, ob wir ihm eine Archiv- oder Inventarnummer geben könnten. Daraufhin hat er sich diese Bezeichnung ausgedacht. Das war eine Herausforderung, weil der Stein kein gewöhnliches Objekt im Dombauarchiv ist. Dort arbeitet man mit Fotografien, aber auch Malereien, Glasarbeiten, oder Gipsmodellen. Das „X” steht für sonstige Objekte, „DBA“ steht für Dombauarchiv und „00408“ steht für den Abstand (in Kilometern) zwischen der ISS, der internationalen Raumstation und der Erde.
MG, EH: In deiner künstlerischen Praxis hast du bereits Erfahrungen im Bereich der Archivarbeit gesammelt. Inwiefern war das Dombauarchiv für dich besonders interessant? Gibt es Alleinstellungsmerkmale im Vergleich zu deiner bisherigen Arbeit mit Archiven?
AG: Es war besonders, da ich zum ersten Mal von einem Archiv eingeladen und für meine Arbeit bezahlt wurde. Normalerweise läuft es andersherum.
Wenn man sich als Künstler:in für ein Thema interessiert, recherchiert man, in welchen Archiven man Materialien dazu finden könnte. Es geht um Eigeninitiative. Es ist gar nicht so einfach, an manche (Foto-)Materialien heranzukommen. Die Archive haben ihre Regeln und Protokolle und bis man ihr Vertrauen gewonnen hat, kann es bis zu zwei Jahre dauern. Und danach bewirbt man sich für Stipendien, um das Projekt zu finanzieren. Und dieses Mal war es eben andersrum: ich habe mich wieder für ein Projekt beworben und dann standen mir alle Türen im Dombauarchiv offen.
Das Archiv ist sehr komplex. Es umfasst alles – von der Dreikönigensammlung bis hin zu Stein- und archäologischen Sammlungen. In der Dombauhütte arbeiten 85 Menschen. Von Archäolog:innen über Fotograf:innen bis hin zu Steinmetz:innen und Steinrestaurator:innen. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um mit all diesen Fachbereichen und professionellen Leuten zu arbeiten. Während der Recherche war ich praktisch einen Tag bei jedem und jeder dieser Spezialist:innen und habe mir erklären lassen, wie diese Welt funktioniert. Was ich jetzt praktisch mache ist, dass ich das Projekt entlang der verschiedenen Fachsprachen durchdekliniere: von der wissenschaftlichen, technologischen Sprache der Steinrestaurierung bis hin zur Ästhetik der Astronauten-Welt und der ESA.
MG, EH: Bei unserer Führung durch das Dombauarchiv konnten wir einen Einblick in die Größe der Sammlung gewinnen. Uns wurde auch die Vitrine gezeigt, in der der Stein nach seiner Rückkehr aus dem All vor über 10 Jahren ausgestellt wurde. Was hat dich dazu bewegt, dich diesem eher unscheinbaren Stück und seiner Zeit im Weltraum zu widmen – und ihn somit gewissermaßen zurück ins Rampenlicht zu holen?
AG:Die Geschichte des Domsteins war besonders spannend für mich. Jeder Stein im Dom möchte am Ende des Tages den Himmel sowohl physisch als auch metaphysisch erobern. Und dieser eine Stein, der schafft es. Er schafft es hoch zu fliegen, 400 Kilometer von der Erde entfernt in den Weltraum. Und das bringt mich zurück zu meinem Interesse an der Vernakularfotografie. Wenn ich mich mit dieser Form der Fotografie beschäftige, arbeite ich ja immer postfotografisch, das heißt, mit gefundenen Bildern, die andere Menschen gemacht haben. Der Stein, der war Müll. Genauso wie die Bilder, die ich auf dem Flohmarkt finde. Also auf dem Flohmarkt sind sie noch nicht Müll, aber eben fast. Diese Fotografien sind dort in einem Zwischenstadium, das fragt, was für einen Wert sie überhaupt haben.
Und da kommen wir zum Kern der Geschichte, die mich fasziniert hat, nämlich, dass die Stadt Köln von der ESA um einen Stein gebeten wurde. Der Kommunikationsleiter der ESA hatte sich überlegt, wie er mit einer Marketingstrategie die Aufmerksamkeit der Kölner:innen auf die ESA lenken kann. Dabei entstand die Idee, dass der Astronaut Alexander Gerst eine Kölner Flagge und einen Stein vom Dom mit ins All nimmt, um diesen dann irgendwann wieder im Dom einzubauen. Das alles war zunächst „top secret“ – die Mitarbeitenden des Dombauarchivs wussten gar nicht, wofür der Stein genutzt werden sollte und schickten drei zur Auswahl. Anhand von Fotos habe ich analysiert, dass der Stein, der dann übergeben wurde, ein anderer war als der, der im Weltall war.
MG, EH: Auf deiner Website schreibst Du, dass die Beschäftigung mit dem Überirdischen etwas ist, was deine Arbeiten oft prägt. Wie stehen Fotografie und das Firmament für dich in Beziehung, wo zeigt sich das Sakrale und wie setzt du das künstlerisch um? Konntest du durch deine Zeit im Dombauarchiv vielleicht neue Gedanken dazu entwickeln?
AG: Ja, auf jeden Fall. Ich habe auch früher schon verschiedene Arten von Archiven besucht, dort geforscht und gearbeitet, zum Beispiel mit Fotografien des Himmels, etwa in meteorologischen Archiven. Dieses Mal sind wir ein Stück weiter bzw. höher gegangen.
Ich habe mich bewusst für das Dombauarchiv beworben, weil es mir um das Sakrale ging. Meine ursprüngliche Idee ging in eine andere Richtung, aber ich bin einfach offen an das Projekt herangegangen, habe das Archiv besucht und nach Inspiration gesucht. Im Dombauarchiv habe ich diese gefunden, als ich mich mit dem Thema Reliquien auseinandersetzte. Ich habe mit der Leiterin der Domschatzkammer, Leonie Becks, lange darüber gesprochen. Sie hat mir erklärt, wie die Reliquien präsentiert und erhalten werden, aber auch was überhaupt eine Reliquie ist. Dabei hat sie mir auch viele Berührungsreliquien gezeigt. Im Grunde sind das Stücke von Stoffen oder Papierstücke, die man an den Hauptreliquien gerieben und dann verkauft hat – inklusive Authentifizierungszertifikat.
Wenn man eine Reliquie anfasst, soll man im Grunde die „Kräfte” dieser Reliquien erhalten. Das ist Teil der Religion. Ich habe vom Domstein eine Serie von Zeichnungen angefertigt, die Reliquien heißt. Auf diesen erkennt man die sechs Seiten des Steins. Beim Zeichnen sind kleine Sandsteinkörner auf das Papier gerieselt, die ich dann festgeklebt habe. Das heißt, dieses Papier war erwiesenermaßen in Berührung mit dem Stein, der im Weltall war – wie eine Berührungsreliquie. Auf der Rückseite habe ich dann die ganzen Authentifizierungszertifikate aufgenommen. Da sind dann zum Beispiel der Stempel der Dombauhütte, der Domschatzkammer, und einer, den ich selbst entworfen habe.
Auch das Sakrale ist Teil der Kunstwelt. Der Stein war ein Steinfragment, was nicht wichtig oder wertvoll war, aber er wurde es jetzt, und diese Geschichte möchte ich erzählen. Was macht ein Objekt besonders und was hat das mit Sakralität und Aura zu tun? Was macht ein Objekt wichtig? Was macht ein Objekt zu Kunst? Was macht ein Objekt heilig? Es geht mir in meinem Projekt also auch um die Re-Auratisierung des Steins. Normalerweise würde man so einem Stein nie so viel Aufmerksamkeit schenken. In der Ausstellung wird der ursprüngliche Stein auch tatsächlich nie gezeigt werden. Warum? Das hat, genau wie bei Reliquien, mit Aberglauben zu tun. Du musst daran glauben, an Kunst musst du glauben, an ein Foto musst du glauben, oder nicht?
MG, EH: Deine Arbeit Al Sol zeigt, dass du gerne mit einer gewissen Ironie arbeitest und die Metaebenen des Mediums überschreitest. Welche Strategien nutzt du in deiner Auseinandersetzung und wo siehst du Chancen oder auch Herausforderungen dieser Herangehensweise?
AG: Das Metaphorische ist immer wichtig und der Himmel ist im Grunde eine Urmetapher für Transzendenz. Wenn ich mich mit dem fotografischen Medium auseinandersetze, interessiert mich das besonders. Historisch gesehen ist Fotografie das Medium, das uns eine gewisse Ewigkeit verspricht und insofern vielleicht auch etwas Göttliches, indem es das Licht und den Augenblick festhält. Wenn ich mich mit gefundenen (Himmels-)Fotografien aus Alben beschäftige, beschäftige ich mich mit vermeintlich schlechten Fotos. Das sind dann keine besonders ästhetischen Fotos, aber die Menschen, die diese Fotos gemacht haben, haben sie gemacht, weil für sie dieser Augenblick wichtig war. Und wenn ich dann den Himmel in meinen Kompositionen abstrahiere, dann ehre ich gewissermaßen diese Haltung und diese Fotograf:innen, indem ich nur über diese Transzendenz spreche oder nur den Himmel zeige. Deswegen sehe ich eine inhärente Verbindung zwischen dem Himmel als Metapher für Transzendenz und der Fotografie.
Das Projekt hat für mich einfach zusätzlich noch die Tür zu einer anderen Materialität geöffnet, nämlich zu Stein. Ich bin kein Bildhauer und ich kenne mich damit nicht wirklich aus, aber ich bin sehr neugierig. Jedes Projekt eröffnet neue Gebiete, die mir auch Erkenntnisse bringen. Aber das Thema ist für mich dann immer das Gleiche, auch hier. Es geht um einen geliehenen Stein, der im Weltall war, und der Kölner Dom hat mit dem metaphysischen Himmel zu tun. Deswegen hat mein Projekt einerseits mit Religion, andererseits mit Archiven und auch mit dem Alltag zu tun.
MG, EH: Religion, Archive, Alltag, Astronaut:innen und dazu noch Fragen der Transzendenz. Wie wirst du diese Bezüge in der Ausstellung verarbeiten?
AG: Die Ausstellung wird im Kölner Dom stattfinden. Aus verschiedenen Gründen: Zum einen werden so viele unterschiedliche Menschen mit der Arbeit konfrontiert. Denn mir geht es auch darum, diese Geschichte zu verbreiten. Und da muss ich auch Marketingstrategien nutzen. Zum Beispiel habe ich Patches (Aufnäher) wie die der Astronaut:innen gestaltet, nur eben mit dem Domstein. Postkarten und ein blauer 3D-Druck des Steins im Maßstab 1:1 werden ebenfalls erhältlich sein, und auch der Kölner Domshop wird Teil der Ausstellung. Die ganzen Souvenirs zu günstigen Preisen sind für mich ein wichtiger Teil der Ausstellung. Erstens, um die Geschichte zu verbreiten, zweitens, weil eine Kirche natürlich das Sakrale hat, aber eben auch das Banale, das Alltägliche. Beides geht Hand in Hand, deswegen ist diese dialektische Beziehung Teil meiner Arbeit.
Die Ausstellungsobjekte werden vermutlich auf einer Plane liegen, ohne einer besonderen Organisationsstruktur zu folgen, denn auch im Weltall unter Schwerelosigkeit gibt es kein oben, kein unten, kein rechts, kein links. Dieses Gefühl wollen wir in der Ausstellung vermitteln. Die Idee ist, dass man am Anfang erst einmal verloren ist. Genauso, wie wenn man ein Archiv besucht. Es funktioniert nicht chronologisch, sondern es entstehen Verbindungen; eine Geschichte, die man rekonstruieren muss. Und es gibt Lücken und Stellen, wo nicht alles ganz passt. Da spielt auch die künstlerische Freiheit eine Rolle. Wir sind Künstler:innen, nicht Archivar:innen. Da kann man anders und vielleicht auch freier an die Sachen herangehen.
MG, EH: Vielen lieben Dank für das Gespräch und die aufschlussreichen Einblicke in deinen Arbeitsprozess, Andrés. Wir freuen uns jetzt schon auf die Ausstellung und sind absolut gespannt auf die Geschichte des Domsteins!
Das Gespräch wurde am 12. Februar 2025 online und auf Deutsch geführt.
Andrés Galeanos Ausstellung X-DBA-00408 beim Photoszene-Festival 2025
