Im Interview erzählt Wolfgang von seinem Weg in die künstlerische Fotografie und seiner prägenden Zeit im Köln der 1970er- und 80er-Jahre. Dabei gibt er spannende Einblicke in die Anfänge der freien Kunstszene und die Entwicklung der Fotografie als künstlerisches Medium. Wir treffen Wolfgang zuhause in seiner Wohnung in Kölner Belgischen Viertel.
Hallo Wolfgang, Du bist 1952 in Marburg an der Lahn geboren und in einem Vorort von Bonn aufgewachsen, bevor es dann nach Köln ging. Wie war es für dich Ende der 70er Jahre in eine Großstadt wie Köln zu ziehen?
Geil! Mega! würde der Jugendliche heute sagen.
Damals, 1976, hatte Köln ein ganz anderes Image als heute. Ich hatte zuvor in Bonn Vermessungskunde studiert. Zum Glück gab es im Studium auch einen Fotokurs, da die Vermessungskunde bei der Kartenherstellung auch auf Fotografien zurückgreift. Wir arbeiteten im Fotolabor mit Entwickler und Fixierer im roten Licht – und da hat mich die Begeisterung für Fotografie richtig gepackt. Ich sagte dann zu meinen Freunden: „Leute, ich höre auf und gehe nach Köln.“ Die Reaktionen waren eher negativ – viele fragten, warum ich in diese „hässliche, dreckige, uninteressante“ Stadt ziehen wollte. Köln galt damals nicht als besonders ansprechend und hatte längst nicht den Ruf, den es heute genießt.
Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass in Köln alles möglich ist. Es gab dort viele Freiräume, sowohl inhaltlich als auch geografisch – genau das, was ich suchte. Ich wollte einen Ort, an dem ich tun und lassen konnte, was ich wollte, mit ausreichend Platz dafür. Und das bot mir Köln. Zum einen war das mit meinem Professor Arno Jansen möglich, und zum anderen bot mir die Fotografie selbst diesen Freiraum. Hinzu kam die hohe Lebensqualität: Es gab günstigen Wohnraum, und ich fand sofort eine 200-Quadratmeter-Wohnung – okay, sie war im Souterrain, aber es waren immerhin 200 Quadratmeter!
Es war eine große Freiheit, und das hat mich unglaublich begeistert.
1976 hast du angefangen an der Fachhochschule Köln in der Klasse von Arno Jansen „Künstlerische Fotografie" zu studieren. Wie hat das Studium der künstlerischen Fotografie ausgesehen in einer Zeit, da Fotografie noch nicht als eigenständiges künstlerisches Medium anerkannt war und kaum in größeren Museen ausgestellt wurde?
Der Professor sprach nicht mit uns über technische Details wie zum Beispiel, wie man ein Glas oder etwas anderes fotografiert. Stattdessen sagte er: „Hab deine Idee! Die Idee ist gut, mach weiter.“ Das war die erste Hochschule in Westdeutschland, an der man Künstlerische Fotografie und eben nicht Angewandte Fotografie studieren konnte und gleichwertig mit anderen künstlerischen Abteilungen war. Die inhaltliche und gestalterische Vielfalt war unbegrenzt, man konnte sich völlig frei ausprobieren. Und an der Schule gab es noch andere Klassen, an denen Fotografie ein künstlerisches Medium war, beispielsweise bei Alfred Will.
Während deines Studiums an der Fachhochschule hast du auch Ulrich Tillmann kennengelernt.
Da mich die Kunstszene in Köln interessierte, besuchte ich Ende der 70er Jahre viele Ausstellungen und Veranstaltungen. Dort begegnete ich irgendwann Uli Tillmann und wir freundeten uns relativ schnell an. Wir waren uns in vielen Dingen einig. Uli hatte ganz anders studiert als ich; er hatte eine technische Ausbildung gemacht und bei den Fotoingenieuren in Deutz studiert. Ich dagegen hatte keine formale Ausbildung und habe bis heute Schwierigkeiten, ein scharfes Foto zu machen, weil ich keine ordentliche Lehre durchlaufen habe. (lacht)
Trotzdem fanden wir beide eine gemeinsame Basis in unseren freien Visionen, und das hat uns sehr gut zusammengebracht.
In eurer Arbeit „Meisterwerke der Fotokunst“, die ihr 1984 während der ersten Ausgabe des Internationalen Photoszene Festivals ausgestellt habt, ging es um ikonische Werke der Fotogeschichte. Wie ist die Arbeit entstanden?
Zum einen hat mich immer das von Anderen interessiert, was ich dann selbst umsetzen wollte. Selbstportraits, Experimente und auch Fotogeschichte: also zum Beispiel Urs Lüthi, Andre Kertesz und Anna Atkins.
Ein weiterer Anlass war, dass uns der kommerzielle Fotomarkt auf den Keks ging, weil ständig gefragt wurde: „Ist das ein Vintage Print? Und wie viel kostet der?“
1981 veranstaltete die Galerie Kicken in Köln eine Ausstellung mit ihren teuersten Bildern. Da beschlossen wir eine Gegenveranstaltung zu machen: Der zeigt die teuersten Bilder, wir zeigen die eigentlich „richtigen Bilder“. So entstand die Arbeit.
Wir haben die Ausstellung dann um zwei Wochen nach hinten verschoben, um sie zeitgleich zur ersten Photoszene zu zeigen. Das hat sich so ergeben, denn sonst hätten vielleicht nur 500 Menschen die Ausstellung gesehen, so waren es ungefähr 1000.
Die Veranstaltung wurde daraufhin in einigen Fotozeitschriften, auch international, besprochen. Aufgrund des großen Zuspruchs konnten wir schnell einen Verleger finden, der ein Büchlein mit uns gemacht hat. Das war für uns der Einstieg in die Fotowelt und der Fotomarkt hat uns viele Türen geöffnet. So gesehen hat die Internationale Photoszene eine entscheidende Rolle gespielt.
Inwiefern würdest du sagen, spielt das Konzept des Meisterwerks auch heute noch eine Rolle in der Fotografie?
Was mich heute noch an diesem Thema interessiert, ist die Erkenntnis, dass man, wenn man sich im Fotomarkt bewegt oder Fotografie studiert, wirklich wissen sollte, was bereits da war. Also, was sind die Meisterwerke und wie ist mit ihnen umgegangen worden? Ob unsere Ausstellung nun für die Ausbildung von Fotografen oder Fotografinnen wichtig war, kann ich nicht sagen. Aber die Fotogeschichte und was in der Fotografie passiert ist, halte ich für sehr bedeutend. Vielleicht war unsere Ausstellung auch ein Anstoß für die Leute, um zu erkennen: Ja, hier geht es um diese wichtigen Werke, die man kennen sollte, aber man kann sie auch auf eine humorvolle Art und Weise zitieren, kritisieren und damit auch honorieren.
Die Arbeit wurde in der sogenannten „Gallery without a Gallerist“ in der Kölner Hochstadenstraße 27 ausgestellt. Was war die „Gallery without a Gallerist“?
Uli hat die Galerie mit Bettina Gruber und Maria Vedder 1978 gegründet. Ich kam später dazu. Es handelte sich eigentlich um eine „Produzentengalerie“, wie man das früher nannte. Das bedeutet, dass die Ausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern organisiert und kuratiert wurden. Wir hatten etwa fünf bis sieben Ausstellungen pro Jahr.
Wir zeigten Videos, hängten Fotos an die Wände und präsentierten viele verschiedene Dinge. Natürlich konnte nicht jeder alles zeigen, aber wenn wir dachten, dass etwas gut war, haben wir es ermöglicht. Der Grundgedanke war also nicht der Kommerz, sondern die Idee, das Konzept und die Vision der Arbeit zu zeigen.
Das war auch der Gedanke, den ich in Köln bei der Entstehung der Photoszene gespürt habe. Reinhold Mißelbeck und die Menschen, die ihm zur Seite standen, hatten nicht das Ziel, alles genau festzulegen. Im Gegenteil, sie sagten: „Fächert es breit auf. Macht was ihr wollt, aber macht es seriös.“
Wie waren die Reaktionen der anderen Galerien und Institutionen in Köln auf die Ausstellungen in der „Gallery without a Gallerist“?
Man könnte sagen, wir waren im positivsten Sinne das Tüpfelchen auf dem i der fünf Galerien (Anm. der Redaktion: Galerie Kicken, Galerie Wilde, Galerie Dreiseitel, Galerie Gugu Ernesto, Galerie Imago, Galerie Holtmann u.a.), die bereits existierten – wir kamen dazu und machten etwas Unkonventionelles. Es war keine Konkurrenz, sondern wir haben einfach etwas Zusätzliches geliefert.
Das, was wir gemacht haben, war keineswegs albern; es war gut durchdacht und professionell umgesetzt. Man spürte, dass die Leute es gut fanden, dass es diesen Aspekt der Lockerheit und Offenheit gab. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Aspekt heute fehlt. Es könnten eigentlich eigenwilligere Positionen gezeigt werden. Oft hat man das Gefühl – und ich will jetzt nicht zu kritisch sein – dass alle sich fragen, was das Hauptthema ist, mit dem sich alle beschäftigen oder welche Fragen in den sozialen und gesellschaftlichen Bereichen relevant sind.
Niemand sagt: „Das ist mir egal, ich habe andere Ideen und mache einfach mal etwas Verrücktes.“ Das passiert weniger. Damals gab es diesen Druck auf uns und die Fotografie nicht; wir konnten einfach machen, was wir wollten. Ich möchte sogar behaupten, wir waren die ersten, die das Thema „Meisterwerke der Fotografie“ ironisch aufgearbeitet haben. Andere hätten sich gar nicht getraut, sich kritisch mit jemanden wie Ansel Adams auseinanderzusetzen. (lacht)
Welche Auswirkungen hatte die Gründung der Internationalen Photoszene 1984 für dich als Künstler und die Freie Szene in Köln?
Man hoffte, dass die Photokina, als weltgrößte Fotomesse – bestehend aus Fachleuten, Interessierten und Enthusiasten – nicht nur das Interesse an Technik weckte, sondern auch für Fotokunst begeistern könnte. So diente anfangs die Messe quasi als Antrieb für das Festival.
Die ursprüngliche Idee der Internationalen Photoszene war: wir haben auf der rechtsrheinischen Seite die Photokina, also die Technikmesse. Und auf der linksrheinischen Seite wollen wir zeigen: was können die Fotoapparate eigentlich leisten, was kann man mit denen machen?
L. Fritz Gruber war dafür verantwortlich, Fotograf:innen, Künstler:innen, also Positionen zu finden, die eben zeigen: So kann Fotografie aussehen, angewandt, künstlerisch, dokumentarisch. Alle Ebenen der Fotografie wurden gezeigt.
Und plötzlich war man als Künstler in einem Katalog mit dem Museum Ludwig, der Galerie Holtmann, Gugu Ernesto, der Galerie Wilde und dem Rautenstrauch-Joest-Museum. Wir waren also auf Augenhöhe mit all diesen anderen Institutionen in Köln. Ich habe die Gründung der Internationalen Photoszene daher eher als Schritt wahrgenommen, um Köln im fotografischen und künstlerischen Bereich weiter hoch anzusiedeln. Es war wichtig, die Institutionen und die Freie Szene in eine eigene Struktur zu bringen und aus der Messefunktion herauszunehmen, um zu sagen: „Nein, Köln ist keine Messestadt, wir sind eine Fotostadt!“.
Wie blickst du heute auf die Freie Szene und den Kunstmarkt für Fotografie in Köln?
Der Kunstmarkt für Fotografie ist extrem hart und teuer. Es gibt nur wenige nicht-kommerzielle Orte, an denen man sich frei entfalten kann. Wenn man einen Verein gründet, muss jeder Mitgliedsbeitrag die Miete decken, die oft um die 1.000 Euro oder mehr beträgt. In den 80ern haben wir auch Miete gezahlt, aber die Bedingungen waren offener und günstiger. Heute ist es schwierig, einen Raum lebendig zu halten und genügend Besucher zu gewinnen. Wenn keiner kommt, wird der Raum irgendwann geschlossen.
Michael Horbach zum Beispiel kämpft dafür, dass sein Raum lebendig bleibt, und ich schätze ihn dafür. Das Kunstwerk Köln in Deutz, dem ich angehöre, setzt sich ebenfalls dafür ein, einen lebendigen Raum zu schaffen. Wir erhalten Unterstützung von der Stadt Köln und machen verschiedene Veranstaltungen, darunter natürlich auch Fotoausstellungen zur Photoszene. Oft hören wir von Besuchern, dass sie noch nie hier waren, obwohl sie seit Jahren in Köln leben. Die Photoszene spielt eine große Rolle, um solche Räume zu unterstützen und sichtbar zu machen.
Dieses Jahr wurde verkündet, dass es Kürzungen im Kulturetat der Stadt Köln geben wird. Was bedeutet das für die Freie Szene oder für dich als Künstler jetzt konkret?
Ja, das müssen wir mal sehen. Das Kunstwerk und unsere Fotoausstellungen wurden mehrfach unterstützt, und ich hoffe, das bleibt so. Wenn wir kein Geld bekommen, machen wir trotzdem Ausstellungen, aber kleinere.
Ich bin aus dem Berufsleben raus, daher kann ich auch ohne finanzielle Unterstützung ein oder mehr Stunden arbeiten, das stört mich nicht, das geht anderen Personen leider nicht so. Ich möchte gerne etwas für die Fotografie tun und dafür sorgen, dass sie in der Stadt weiterhin wahrgenommen wird.
Ich will die freie Szene unterstützen.